Künstlerfotos ohne Künstlichkeit

Wolfgang Frei, Neffe des Fotografen

Quinn hatte schon 1951 Picasso kennengelernt und ihn dann während über 20 Jahren fotografiert. Er wurde sein Freund und gewährte ihm wie keinem anderen Journalisten in vergleichbarem Mass den Zugang zu seinem Privatleben. Während der 1960er-Jahre, als der Zugang zu Prominenten zunehmend erschwert und durch Presseagenten reguliert wurde, verlagerte Quinn seinen Fokus verstärkt auf die Zusammenarbeit mit Künstlern.

Wir nannten ihn Ted, wie seine Frau Gret. Es war immer ein besonderes Ereignis, wenn die beiden zu uns in die Schweiz kamen und ein Stück Internationalität mitbrachten. Ted, mein irischer Onkel, der immer eine Leica und meist noch eine Rolleiflex bei sich trug, die ausgebeulten Taschen seines Trenchcoats gefüllt mit gelben Kodak-Boxen und belichteten Filmen in Büchsen, faszinierte mich als Kind mit seiner englischen Sprache, seinen pomadisierten schwarzen Haaren und seinem roten Schnurrbart. Vor allem aber mit seinen Geschichten von Stars, die ich von Titelbildern von Illustrierten kannte und die er vor der Kamera hatte: Romy Schneider, Brigitte Bardot oder Cary Grant zum Beispiel. 

Ich war oft zu Besuch bei den Quinns an der Côte d'Azur und hatte die Gelegenheit, ihm bei Projekten zu assistieren, zum Beispiel beim Buch James Joyce's Dublin, in dem er Bilder seiner Heimatstadt Dublin mit Textausschnitten von Joyce kombinierte.  Das Archiv im kleinen Haus hoch über Nizza diente auch als Gästezimmer. Das Bett stand neben einem riesigen Regal mit gelben Kodak- Schachteln, beschriftet mit all den klingenden Namen, von Picasso bis Sophia Loren. Hier wurden die Abzüge aufbewahrt – damals zum Gebrauch für Reproduktionen in Zeitungen und Magazine bestimmt, heute wertvolle Vintage-Prints. 

Hier waren aber auch die Contacts archiviert, die 1:1-Abzüge der Negative. Darauf erkennt man, wie der Fotograf gearbeitet hat: In welcher Reihenfolge er die Fotos gemacht, welches Bild er damals ausgewählt und welchen Ausschnitt er bestimmt hat. Diese Kontaktabzüge sind wertvolle historische Dokumente, weil sie erhellen, wie die damalige Technologie zu einer anderen fotografischen Arbeitsweise als heute geführt hat. Bis in die 50er-Jahre gab es zum Beispiel kaum Kamera-Motoren für die Aufnahme von Serienbildern. Das typische schnelle, auffällige Klack-klack, das man ab den 70er-Jahren bei Profi-Fotografen immer hörte, kannte man in den 50er-und 60er-Jahren noch nicht. Erst die Motoren ermöglichten schnelle Folgen von sehr vielen Bildern, aus denen der Fotograf später das beste auswählte. So wurde oft ein ganzer Film für eine einzige Bildsituation verbraucht. Im Gegensatz dazu zeigen die klassischen Contacts, die ohne Motor entstanden sind, dass die Auswahl des «richtigen» Bildes viel eher schon bei der Aufnahme getroffen wurde – oder getroffen werden musste. Jedes einzelne Bild hatte einen Wert. Quinn hat den Motor auch später nicht eingesetzt. Nicht nur wegen des störenden Stakkato-Lärms, sondern auch, weil es ihm auf das bewusst fotografierte, entscheidende Bild ankam, ganz im Sinne von Anselm Adams: «Die Maschinengewehr-Zugang zur Fotografie, das heisst die Hoffnung, dass sich unter vielen Bildern ein gutes finden wird, hat fatale Auswirkungen auf die ernsthafte Fotografie.»

Mit den Digitalkameras verschwand auch das Klack-klack, die Bilder konnten jetzt unmittelbar nach der Aufnahme kontrolliert werden und die Kosten des Films und des Labors entfielen. Es ist heute kaum mehr vorstellbar, dass man in Quinns Zeiten erst nach dem Entwickeln des Films in der Dunkelkammer feststellen konnte, ob Schärfe und Belichtung stimmten und ob überhaupt etwas auf dem Film war. So liess die Entwicklung von der klassischen zur digitalen Fotografie die Bedeutung des nicht wiederholbaren Decisive Moment (Henri Cartier-Bresson), des entscheidenden Augenblicks für eine Fotografie, schrittweise verschwinden.

Nichts war von Quinn eigens arrangiert für das Aufnehmen der Bilder von Künstlern. Es ging ihm darum zu zeigen, unter welchen Bedingungen der Künstler seine Werke schuf. Er verzichtete auf den Gebrauch eines Stativs und unterliess es, Räume künstlich auszuleuchten und den Künstler da zu positionieren, wo es für das Bild am günstigsten war. Künstleraufnahmen anderer Fotografen, die so entstanden, lehnte Quinn ab, auch wenn manchmal das technische Ergebnis besser war. Seiner Meinung nach war dies keine Art der Fotografie, welche die Persönlichkeit des Künstlers zeigte. Er meinte, dass sie, wenn auch ausgezeichnete Fotos, stereotyp blieben, weil sie eher die Persönlichkeit des Fotografen als die des Fotografierten widerspiegelten. Sein Ziel war die ungestellte, glaubwürdige Aufnahme, das Authentische und Dokumentarische. 

Quinn gehörte nicht zu den Paparazzi, den aufdringlichen Prominentenfotografen der Skandalpresse. Dazu war er zu sehr irischer Gentleman: zurückhaltend, fast scheu, wenn auch überaus beharrlich, wenn er ein Ziel erreichen wollte. Er verstand sich als Partner der von ihm aufgenommenen Berühmtheiten; Fotograf und Modell sollten kooperieren und so für beide Seiten ein möglichst positives Ergebnis erzielen. 

Das wichtigste Konvolut im Archiv von Quinn sind seine Fotos von Picasso. Es gibt keinen Fotografen, der ihn über eine so lange Zeit begleitet hat. Er war nach den ersten Fotos 1951 bald ein Freund von Picasso geworden, wie dessen schöne Widmung vom 30. Juli 1954 auf dem Linolschnitt Toros en Vallauris zeigt: «Para el amigo Quinn – el buon fotografo» (Für den Freund Quinn – der gute Fotograf). Dabei war Quinn das Problem bewusst, ein Freund Picassos zu sein und gleichzeitig professioneller Fotograf, der notwendigerweise zuerst ein journalistisches Interesse an seinem Sujet hat. Seine Wahl in diesem Dilemma zwischen beruflicher Distanz und freundschaftlicher Nähe war eindeutig, die Freundschaft mit Picasso war ihm wichtiger. Dennoch veröffentlichte er, wenn der Zusammenhang einer Bildsequenz es verlangte, Aufnahmen, die Picasso vielleicht gar nicht gefielen, der es aber dennoch tolerierte, weil er die Arbeit des Fotografen respektierte. Picasso verlangte nie, seine Aufnahmen zu sehen, um sie etwa vor einer Veröffentlichung zu zensieren. Die Fotografien von Quinn zeigen, wie sich Picasso von den alltäglichen, aber auch aussergewöhnlichen Dingen und Menschen um ihn herum inspirieren liess. In diesem Blick auf die Persönlichkeit, auf den Menschen hinter den Bildern, werden durchaus auch Klischees zur Realität und Gegensätze sichtbar: Die Musse neben der Arbeit, das ganz Alltägliche gegenüber der Kunst, der Womanizer und der Familienmensch, der extravertierte Clown und Spassvogel aber auch der sehr nachdenkliche Meister.