Künstlerfotograf

Quinn begegnete Künstlern wie Picasso, Max Ernst, Jean Cocteau, Joan Miró, Marc Chagall, Alexander Calder, Alberto Giacometti, Salvador Dalí, Georges Simenon, Françoise Sagan, Somerset Maugham und Francis Bacon.

Edward Quinn 1996

Als ich in den frühen Fünfzigerjahren an der Côte d’Azur als Reporter anfing, waren mir die Namen zeitgenössischer Künstler noch kein Begriff. Natürlich hatte ich schon von Picasso gehört und bald herausgefunden, dass er irgendwo in der Nähe lebte. Sein Name übte eine magische Anziehungskraft auf Redakteure von Zeitungen und Illustrierten aus, und ich wurde schon sehr früh darauf aufmerksam gemacht, dass eine Reportage über Picasso sehr willkommen sei.
Meine erste Begegnung mit Picasso am 21. Juli 1951 war kein Zufall. Aus einer Lokalzeitung erfuhr ich, dass er als Ehrengast auf der Vernissage einer Keramikausstellung in Vallauris erwartet wurde. Trotz meiner Unerfahrenheit als Fotojournalist erkannte ich meine Chance. Während der Ausstellung war Picasso von Fotografen und lokalen Honoratioren umringt; eine gute Aufnahme zu bekommen, war also unmöglich, und ich wartete, bis die Presse gegangen war. Das traf sich umso besser, da kurz bevor sich Picasso verabschiedete, die Haushälterin mit seinen Kindern Claude und Paloma auftauchte. Ich nahm meine Chance wahr und fotografierte Picasso mit Paloma auf dem Arm, der kleine Claude daneben. Dieses eine Bild war der Anfang meiner Freundschaft mit Picasso. Das Foto gefiel ihm, und er erlaubte mir kurz danach, ihn bei der Arbeit in seiner Keramikwerkstatt in Vallauris zu fotografieren. Es war eine prägende Erfahrung für mich, Picasso bei der Arbeit zuzusehen. Ich hatte noch nie der Entstehung eines Kunstwerks beigewohnt. Mit grosser Erleichterung hörte ich Picasso am Ende des Arbeitstages zu Madame Ramié, der Besitzerin der Keramikwerkstatt Madoura, sagen: «Lui, il ne me dérange pas» («Er stört mich nicht»). Das bedeutete, dass ich ihn wieder besuchen durfte, und tatsächlich war es mir in den nächsten 20 Jahren möglich, ihn regelmässig zu besuchen und zu fotografieren. 

1964 bekam ich von der «New York Times» den Auftrag, Max Ernst zu fotografieren, und ich konnte eine Reportage über ihn in seinem Haus in Seillans machen, einem kleinen Ort in der Provence. Nachdem ich mich mit seinem Werk intensiv befasst hatte, kam mir zehn Jahre später der Gedanke, ein Buch über ihn zu machen, das seine Bilder und seine autobiografischen «Notizen für eine Biographie» im Stile einer Collage vereinen würde. Seit der erwähnten Begegnung hatte ich ihn nicht wiedergesehen. Ich hoffte, ihn erneut in Seillans anzutreffen, wo ich ihn das erste Mal fotografiert hatte. Max Ernst empfing mich, war aber sehr irritiert, da ich ihn während seiner Arbeit gestört hatte. Ich erklärte ihm mein Buchprojekt, aber er lehnte jegliche Zusammenarbeit rundweg ab. Es dauerte Monate, bis ich wieder einen Termin bekam, und so fuhr ich mit den ersten Entwürfen nach Seillans. Max Ernst sah sie gründlich an und sagte schliesslich: «Mister Quinn, Ihre Arbeit gefällt mir sehr gut». Danach lud er mich zusammen mit seiner Frau Dorothea Tanning zum Essen ein, zu dem er einen ausgezeichneten Wein aus dem Keller holte. 

Von da an stattete ich Max Ernst häufig Besuche ab. Das Buch erschien 1976, im Todesjahr von Max Ernst. Eine seiner letzten Arbeiten, eine Lithografie, fertigte er speziell für dieses Buch an. Es rührte mich sehr, als ich erfuhr, dass er, mittlerweile schwer krank, die Blätter auf dem Krankenbett signiert hatte. 

Jean Cocteau war eine der prominentesten Persönlichkeiten der Kunstszene an der Côte d'Azur. Er war als Romancier, Lyriker, Dramatiker, Filmemacher und Maler bekannt. Cocteau empfing Journalisten nur allzu gerne und sorgte stets dafür, dass seine Gäste sich wie zu Hause fühlten. Er hatte immer etwas zu erzählen oder etwas Neues vorzuzeigen, und die Journalisten verliessen ihn mit neuen Informationen und guten Bildern. Als Filmemacher wusste Cocteau genau, wie man sich in Szene setzt.

Auf Einladung von Francine Weisweiller, einer bekannten Dame aus der Pariser Café Society, lebte er am Cap Ferrat. Ihr gehörte die bezaubernde Villa Santo Sospir. Um sich für Madame Weisweillers grosszügige Gastfreundschaft zu revanchieren, dekorierte Cocteau die weissen Wände der Villa mit Gemälden und liess sich dabei von mythologischen Geschichten und Helden inspirieren. 1956 arbeitete er an der immensen Aufgabe, die alte, fast aufgegebene Fischerkapelle Saint Pierre in Villefranche zu renovieren. Bei der Wahl seiner Motive liess er sich von der Bibel inspirieren und stellte drei Episoden aus Jesus' Leben dar. Als Modelle für die Wandgemälde dienten ihm Fischer vor Ort. 

1953 fotografierte ich Marc Chagall und seine zweite Frau Valentine Brodsky in ihrem Haus in Saint Paul de Vence. Da Chagall konzentriert zu arbeiten pflegte, liess er sich nur ungern stören. Am liebsten zog er sich in seine Fantasiewelt aus Bauern, Tieren und Blumen zurück. Sein Garten war voller Blumen, und er erklärte einmal, die Malerei müsse stets versuchen, sich mit der Schönheit der Blumen zu messen, sie müsse sich aber immer mit dem zweiten Platz begnügen. 

1964 wurde die Fondation Maeght in Saint Paul de Vence vom Kunsthändler und Sammler Aimé Maeght gegründet. Er wollte einen Treffpunkt für Kunstliebhaber schaffen. Durch die Zusammenarbeit von Miró, Chagall, Giacometti, Tal Coat, Ubac und anderen wurde die «Fondation Maeght» zu einem Gemeinschaftskunstwerk. Joan Miró kreierte dafür Skulpturen zum Beispiel L'Oiseau lunaire und das grosse Oeuf cosmique als Mittelpunkt eines kleinen Teiches, an dem ich ihn zusammen mit Aimée Maeght fotografierte. 

Am Tage der Eröffnung der Fondation Maeght besuchte AlbertoGiacometti allein den Raum, in dem seine Skulpturen standen. Zufällig war auch ich zugegen und hatte Gelegenheit, den Künstler zu beobachten, wie er sein Werk betrachtete, wobei seine Figuren ihrerseits ihn zu beobachten schienen. 

Alexander Calder begegnete ich, als er Aimé Maeght in Saint Paul besuchte. Als ich ihn fotografierte, zeigte er mir voller Stolz seine kleinen Mobiles. Er war sehr gut gelaunt und freute sich jedes Mal, wenn ein Windstoss das Mobile herumblies, während er den Drehpunkt ruhig zu halten versuchte. 

Als ich 1957 Salvador Dalí in Portlligat an der Costa Brava besuchte, führte er mir seine neueste Entdeckung vor. Zu diesem speziellen Anlass trug er ein besonderes Kostüm, bestehend aus einer reich verzierten Jacke mit passender Mütze. Er stellte mir einen Seeigel namens Sputnik vor und demonstrierte, wie dieser ein Bild malte. Zunächst steckte er eine äusserst leichte Schwanenfeder in die Mundöffnung des Seeigels, die mit ihren fünf Zähnen wie eine Hand funktionierte und den Kiel umklammert hielt. Dann platzierte er den Seeigel samt Feder vor ein Blatt eingeschwärztes Papier, und mit Bewegungen, die Dalí als vom Kosmos kontrolliert bezeichnete, zeichnete der Seeigel dekorative Linien aufs Papier. Dalí bestand darauf, dass manche Seeigel mehr Talent besässen als andere. Es war ein bemerkenswerter Tag, und ich war hocherfreut über die Bilder, welche die englische Zeitung Sunday Graphic in einem Artikel unter dem Titel A COSMIC SENSATION veröffentlichte. 

In den Fünfzigerjahren lebte Georges Simenon in seiner Villa Golden Gate in Cannes. Da ich gerne Reportagen sur le vif machte, fragte ich ihn, ob ich ihn bei einem typischen Tagesablauf begleiten dürfe. Ich war überrascht, dass er schon um 6 Uhr morgens mit der Arbeit begann. Er begann sein Morgenritual, indem er auf der Terrasse hin und her ging, die Hände auf dem Rücken verschränkt, nervös mit einem Rosenkranz aus türkischen Bernsteinperlen hantierend. Bevor er an die Arbeit ging, machte Simenon auch ein paar einfache Gymnastik-Übungen auf einem Brett, das er speziell hatte anfertigen lassen. Während er eine Kanne Kaffee kochte, erzählte er mir, dass er etwa fünf Bücher pro Jahr schreibe und dafür etwa etwa 11 Tage brauche. Länger könne er die Anstrengung nicht aushalten. Nach dem Kaffee schrieb er mit einem seiner unzähligen fein gespitzten Bleistifte bis gegen 10 Uhr, las das Manuskript durch tippte es in. Die Maschine. Dann war sein Arbeitstag zu Ende und er ging zum Einkauf auf den Markt und anschliessend auf einen Apéro in eine kleine Bar, die aussah wie in einem seiner Maigret-Romane.

Als ich Françoise Sagan zum ersten Mal traf, war sie gerade in ihrem Jaguar von Paris nach Cannes gefahren. Sie schrieb gerade an ihrem zweiten Roman Un Certain Sourire in einem Zimmer mit Blick auf das Meer im Hotel Carlton. Françoise sagte, dass sie nur zwei Stunden am Tag arbeiten konnte, zu mehr reiche ihre Energie nicht. Zum Schreiben lag sie vorzugsweise auf dem Boden oder balancierte in einem Sessel sitzend ihre Schreibmaschine auf dem Schoss. Auch Un Certain Sourire, wurde ein Bestseller. Das Buch handelt von einer Liebesaffäre zwischen einem jungen Mädchen und einem doppelt so alten Mann. Sagans fiktive Geschichte wurde wahr, als sie später ihren wohlhabenden Verleger Guy Schoeller heiratete, der etwa 20 Jahre älter war als sie. Die Ehe hielt jedoch nicht lange.

Somerset Maugham besass in Saint-Jean-Cap-Ferrat die Villa Mauresque. Mit dem Verkauf von mehr als 40 Millionen Büchern war er ein sehr reicher Mann geworden. Maugham begann seinen Tag mit dem Rauchen einer Pfeife im Bett und der Lektüre der Tageszeitungen. Fast bis zum Ende seines Lebens hielt er sich an eine strenge Arbeitsroutine. Jeden Tag ging er in seine Schreibstube auf dem Dach. Er sagte einmal zu mir «Ich fand das Leben immer zu kurz, um etwas zu tun, für das man jemand anderen bezahlen kann. Und jetzt bin ich reich geworden und kann mir den Luxus leisten, nur noch das zu tun, was ausser mir niemand kann.»

Ich habe Künstler nicht nur an der Côte d’Azur fotografiert, sondern vor allem auch in ihren Ateliers in England und Irland: David Hockney, Sam Francis oder Louis le Brocquy. Besonders nahe stand mir Francis Bacon, der wie ich in Dublin geboren war. Ich erinnere mich gut an eines meiner ersten Treffen mit ihm 1978 in London an der 7 Reece Mews. Er führte mich in die winzige Küche seiner Atelierwohnung, und zu uns gesellte sich seine Putzfrau – oder «cleaner-upper», wie Francis sagte, wenn er seinen Cockney-Slang gebrauchte. Sie machte uns beiden eine Tasse starken englischen Tee, und wir standen da, unterhielten uns und nippten am Tee. Ich kam nicht umhin, mich zu fragen, was sie über die Gemälde dachte, die das ziemlich unaufgeräumte Atelier füllten. 

Es fiel mir schwer, mir vorzustellen, wie die ältere Dame es schaffte, die schmale Treppe hinaufsteigen, die eher wie eine Leiter aussah und in den obersten Stock führte. Genauso, wie ich mir Gedanken machte darüber, wie Francis diese Treppe nach einer seiner legendären Nächte in den Londoner Restaurants bewältigte, in denen er mehr Alkohol trank, als zwei grosse Männer normalerweise vertragen konnten. Aber Francis konnte sehr nüchtern bleiben, zumindest nach einer Flasche Champagner oder ein paar Gläsern Whisky.

Ich erinnere mich, dass ich mich einer Art Test unterziehen musste, bevor Francis mich akzeptierte. Nach unserem ersten richtigen Treffen lud er mich in sein Lieblingsrestaurant in Soho ein. Dort erwartete uns ein Vier-Gänge-Menü, bei dem ich mindestens viermal so viel Alkohol trank, wie ich es gewohnt war. Dennoch gelang es mir, ein mehr oder weniger intelligentes Gespräch über Kunst zu führen, insbesondere über Picasso, den Francis Bacon ausserordentlich bewunderte und respektierte. Wie dieser Abend genau endete, kann ich nicht mehr sagen, aber was auch immer geschah, ich muss mich anständig verhalten haben, denn ich hatte die Aufnahmeprüfung für Francis Bacons Freundeskreis, seinen exklusiven Club bestanden.

Viel später durfte ich die kreative Seite des Künstlers kennenlernen. Francis erlaubte mir, ihn in seinem Atelier zu fotografieren: ein eindrückliches Erlebnis. Von da an traf ich ihn mehrmals in London, und jedes Mal ergänzten wir die Arbeitssitzungen in seinem Atelier mit Gesprächen in der gemütlichen Atmosphäre eines Restaurants in Chelsea oder Soho. Francis genoss es, einfach nur zu reden. Unsere Fotosessions beschränkten sich darauf, ihn in seiner Wohnung oder in der Marlborough-Galerie – und gelegentlich in seinem Pariser Atelier – zu fotografieren. Über seine Kunst sprach Francis ungern, und ich drängte ihn nicht zu diesem Thema.