Edward Quinn: Meister der Leica
By Heinz Stöckler
Manche begabten Fotografen haben Starallüren, ein oft snobistisches Selbstbewusstsein, das den Umgang mit ihnen sehr erschwert. Nichts von alledem bei Edward Quinn. Es war zwar auch in diesem Fall nicht leicht, zu einem persönlichen Kontakt zu kommen, aber aus fast entgegengesetzten Gründen.
Edward Quinn ist ein sehr sensibler, scheuer Mensch, das Gegenteil dessen, wie man sich den heute erfolgreichen Pressefotografen vorstellt, der ja bekanntlich nicht ohne ein gewisses Maß an Härte, Rücksichtslosigkeit oder gar Gefühllosigkeit denkbar ist. Diese Scheu geht bei Quinn so weit, dass er sich fast einkapselt gegen Störungen der Aussenwelt und gegen Besucher und dass er die Antworten auf gewisse Fragen gern im Ungewissen, in der Schwebe lässt.
Wir sitzen in der Pergola seines Cottage hoch über der Bucht von Nizza, die ganze Stadt und das sonnen-glitzernde blaue Meer unter uns. Im kleinen Garten stehen Mimosen, Orangen-, Feigen-, Mandel- und Kirschbäume und eine riesengroße Agave, alles selbst angepflanzt und sorglich gehegt. Quinn erzählt, wie er manches Gewächs dreimal umgepflanzt hat, weil es nicht recht gedeihen wollte, wie die Natur dankbar ist, wenn der Mensch ihr verständnisvoll hilft und ihr die besten Bedingungen zum Wachstum verschafft. Ein kleiner Hund ist dabei, und Katzen streichen um uns herum. Meine Frage, wie viele es seien, wird damit beantwortet, man könne sie nicht zählen, sie seien vom Vorgänger einfach zurückgelassen worden, und es sei eine Menschenpflicht, für sie zu sorgen und sie nicht umkommen zu lassen! Das Innere des kleinen Hauses ist sehr geschmackvoll eingerichtet, Stück für Stück wurde angebaut und erweitert, um es zu dem zu machen, was es heute darstellt. An den Wänden hängt eine Graphik von Picasso und eigene frühe Gemälde, im Garten stehen Plastiken und andere Werke, aus eigener Auseinandersetzung mit der Kunst hervorgegangen.
Das alles könnte sehr nach einem kleinen Paradies aussehen, das es auch für den Besucher aus dem Norden ist. Aber damit würde man dem Hausherrn nicht gerecht werden; denn trotz des idyllisch scheinenden Milieus wird hier hart gearbeitet! Dafür sorgt nicht nur die materielle Ungesichertheit eines freiberuflich Schaffenden, sondern auch das hohe Arbeitsethos von Edward Quinn. Wenn er eine Arbeit übernimmt, eine fotografische Reportage wie das kürzlich hier von uns besprochene Picassobuch (Heft 6/65), dann ist er sich ganz klar darüber, wie zufällig die Ergebnisse des Fotografen sind im Vergleich zur Arbeit des Künstlers. Während jener mit viel Glück und Routine im Bruchteil einer Sekunde bestenfalls einen Zipfel der Wirklichkeit erhascht, geht dieser oft monatelang immer das gleiche Thema an, kreist es ein und versucht im Kunstwerk das Wesen, den Geist, das Gültige seines Gegenstands zu erfassen und zu verdichten. Ähnliches versucht nun Quinn mit Hilfe der Fotografie, weil ihn der einfache Schnappschuss nicht befriedigt.
Über den Werdegang von Edward Quinn ist folgendes zu berichten: Quinn ist lre, in Dublin gebürtig und war als Navigator u. a. bei der Berliner Luftbrücke tätig. Zur Fotografie kam er als Amateur, der keinen anderen Ehrgeiz hatte, als Erinnerungsbilder seiner zahlreichen Reisen zu machen. Durch eine Londoner Bildagentur bekam er eine Stelle als „Feature-Fotograf“ an der Côte d’Azur. Das brachte ihn in Kontakt zu Picasso und vielen anderen Künstlern, die sich an der Riviera aufhielten. Seine Porträts dieser Personen fielen auf, weil sie anders waren, und fanden den Weg in alle größeren amerikanischen, englischen, französischen und deutschen Illustrierten. Wer so denkt, macht es sich nicht leicht, denn wenn wir in den Ergebnissen seiner Arbeit bestenfalls Annäherungen an das Angestrebte sehen, mit denen er eigentlich nie restlos zufrieden sein kann. Dazu kommt noch dass der Fotograf nach Quinns Meinung nicht auffallen oder sich seinem Objekt aufdrängen darf. Deshalb ist er so besonders stolz darauf, dass Picasso, mit dem er über 13 Jahre lang befreundet und in engem Kontakt ist, von ihm sagte: „CeIui-là ne me gêne pas pour travailIer“ also ihm bestätigte, dass er seine Anwesenheit überhaupt nicht als störend empfand. Anders wären auch die völlig ungezwungenen Aufnahmen dieses Buchs gar nicht möglich gewesen, mit denen es Quinn gelang, in jahrelanger Arbeit ein ungeschminktes Bild vom Leben und Werk des größten Künstlers unserer Zeit zu schaffen.
Quinn beneidet den Amateur, der, unabhängig von materiellen Rücksichten oder Ansprüchen des Auftraggebers, das fotografieren kann, was er will und wonach ihm der Sinn steht.
Erstaunlich, dass Quinn ein absoluter Autodidakt in der Fotografie ist, ein Beweis mehr, daß auch einem begabten Amateur alle Wege offenstehen. Er lernte fleißig aus Büchern und Zeitschriften die technischen Voraussetzungen der Fotografie und arbeitete von Anfang an seine Filme und Bilder selbst aus.
Sein Umgang mit Künstlern und eigene Versuche in der Malerei und Plastik gaben ihm in ästhetischer Hinsicht viele wertvolle Hinweise und erweiterten seinen Horizont. Seine Stärke ist das Porträt und die Reportage über Künstler, denen er sich nahe fühlt. Neben seiner menschlichen Wärme und Hilfsbereitschaft berührt es sehr sympathisch, dass Quinn für die kommerzielle Seite seines Berufs eigentlich keine Begabung hat. Dazu ist er viel zu sehr ldealist, was natürlich das Leben nicht gerade erleichtert. Neuerdings hat er sich auch dem Filmen zugewandt. Das große Picassobuch hat Quinn weltbekannt gemacht, so dass man auf seine weiteren Arbeiten und Buchpläne, die er noch eifersüchtig geheimhält, sehr gespannt sein darf.
In: Leica Fotografie 4/1966. Frankfurt, Umschau-Verlag