Als Fotograf an der Côte d'Azur
Alles, was Rang und Namen hatte, traf sich hier in den 1950er- und 60er-Jahren. Kein Fotograf dokumentierte das gesellschaftliche und kulturelle Leben an der Côte d’Azur so umfassend wie Edward Quinn. Wie er zum Chronisten der Stars, Berühmtheiten und Künstler dieser Ära wurde und was den Bildjournalismus dieser Zeit vom heutigen unterscheidet.
Edward Quinn, 1995
Ich wurde 1920 in Dublin geboren, und wie viele andere junge Iren war mir bewusst, dass ich eines Tages das Land verlassen würde. Während des Zweiten Weltkriegs verdiente ich den Lebensunterhalt als Musiker in einer Jazz-Band in Belfast. Nach einem deutschen Luftangriff, den ich in einer Kirche knapp überlebt hatte, schloss ich mich der englischen Royal Air Force an und diente als Funknavigator in Lancaster-Bombern. Mit dem Frieden kam eine neue Berufung: Ich navigierte Charterflugzeuge auf Routen zwischen Europa und Afrika und beteiligte mich im Jahre 1948 an der legendären Berliner Luftbrücke während der sowjetischen Blockade. In jenen Tagen schien mein beruflicher Weg vorgezeichnet zu sein. Aber als ich Ende der 40er Jahre die Schweizerin Gret Sulser kennenlernte und ich sie in Monte Carlo besuchte, sollte sich alles ändern. Die Côte d’Azur übte mit ihrer zeitlosen Eleganz einen besonderen Reiz auf mich aus – insbesondere die nostalgische Grandezza von Monte Carlo mit ihrem verträumten Hafen zog mich in ihren Bann. Zunächst arbeitete ich als Musiker und trat unter dem Namen Eddy Quinero, Le célèbre Guitariste Electrique in diversen Bars und bei Tanzanlässen auf. Ein Freund borgte mir eine Kodak-Balgenkamera, und ich zog herum und knipste drauf los, hielt Bilder zur Erinnerung fest, unbewusst schon im Stil eines Reporters.
Die Lokalzeitungen brachten Geschichten über die Celebrities und die Stars, die gerne an die vom grossen Tourismus noch unberührte französische Riviera kamen. Mir wurde bewusst, dass es sich lohnen könnte, meinen Lebensunterhalt als Fotograf mit Bildern dieser prominenten Persönlichkeiten zu verdienen und lernte über Fotografie alles, was ich nur konnte aus Büchern und Fotozeitschriften. Eine Kodak-Retina-Kamera und ein alter Vergrösserer wurden meine Ausrüstung, später kamen eine Rolleiflex, dann eine Leica hinzu, die damaligen Standardkameras der Pressefotografen. Mein kleines Appartement in der Altstadt von Monaco lag nicht weit entfernt vom Fürstenpalast. Anfangs entwickelte und vergrößerte ich meine Bilder in der Küche unter schwierigen Bedingungen. Jedes Mal, wenn meine Wirtin das Essen zubereiten wollte, musste ich meine gesamte Ausrüstung beiseite räumen. Ein lokaler Journalist führte mich in die Grundlagen der Pressefotografie ein. Er erklärte mir zum Beispiel, wie ich den Aufenthaltsort derjenigen herausfinden konnte, über die es sich lohnte zu berichten, und wie ich mich ihnen am besten näherte. Neben den lokalen Zeitungen, Nice Matin und Espoir, las ich auch englische Tageszeitungen, um herauszufinden, welche Celebrities in den Süden kommen wollten. Doch ich merkte bald, dass diese Informationen nicht ausreichten. Manche Stars zogen es vor, unerkannt in einem Hotel oder einer privaten Villa zu wohnen. Deshalb baute ich mir allmählich ein Netzwerk aus zuvorkommenden Barmännern, Sekretärinnen, Pförtnern und Empfangspersonal der luxuriösesten Hotels entlang der Küste auf. Sie gaben mir Tipps, und sie wussten, dass ich ihre Geheimnisse nicht preisgeben würde.
Filmschauspieler zu fotografieren, bietet einen Vorteil: Sie sind in der Regel geübt darin, vor der Kamera zu posieren. Doch ein Bild zu erhalten, das sie so zeigt, wie sie hinter der Bühne oder abseits des Drehorts wirklich sind, gestaltet sich schwieriger. Viele der Stars, die ich in den fünfziger Jahren fotografierte, befanden sich gerade auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Wenn sie an die Côte d’Azur kamen, suchten sie Erholung – manchmal brachten sie ihre Familien mit. Besonders die Hollywood-Stars schienen es zu geniessen, sich von den Fesseln der Studios und ihrer Agenten zu befreien. Dennoch war es keineswegs einfach, sie zu interviewen oder zu fotografieren. Oft erforderte es viel Zeit und Geduld, um ihr Vertrauen zu gewinnen, und nur selten konnte ich Bilder aufnehmen, bei denen ich die Szenerie frei arrangieren konnte. Auch für Porträts arbeitete ich ohne künstliches Licht, allenfalls mit Blitzlicht, aber wenn möglich nutzte ich das vorhandene natürliche Licht. Dadurch wurden die Bilder authentischer und exklusiver.
Es gab es eine Reihe von Orten, wo man mit einer gewissen Sicherheit einem Star begegnen konnte. Vor allem grosse Luxushotels, waren besonders beliebt – das Hôtel de Paris in Monte Carlo, das Hôtel Negresco in Nizza, das Hôtel du Cap d'Antibes und das Carlton Hotel in Cannes. Die glanvollen Gala-Abende im Sporting d'Eté in Monte Carlo während des Sommers und im International Sporting Club im Winter zogen die Rich and Famous, an und die meisten nahmen daran teil. Hollywood-Stars wurden oft eingeladen, um aufzutreten oder der Veranstaltung Glanz zu verleihen. Jahrelang reservierte ich mir die Freitagabende für Gala-Veranstaltungen in Monte Carlo. Fotografen konnten dort ohne Einschränkungen arbeiten, solange sie die Gäste nicht störten.
Dies änderte sich dramatisch nach der Hochzeit von Fürst Rainier und Grace Kelly im Jahr 1956, von der überall berichtet wurde. Internationale Zeitungen und Magazine interessierten sich von nun an für alles, was sich im Fürstentum ereignete. Jetzt brauchte man für alle offiziellen Gelegenheiten eine Erlaubnis, und es galten strenge Anweisungen. Presseagenten übernahmen die Macht, und es wurde äusserst schwierig, als unabhängiger Reporter zu arbeiten.
In den Fünfzigerjahren florierte die Filmproduktion in den Victorine-Studios in Nizza, dem französischen Hollywood. Monsieur Clair, der Direktor der Studios, liess es mich wissen, wenn eine Szene mit einem berühmten Schauspieler oder einer Schauspielerin gedreht wurde. So entstanden meine Fotos der jungen Brigitte Bardot mit ihrem Regisseur und Ehemann Roger Vadim, von Hitchcock und Grace Kelly bei den Dreharbeiten von To Catch a Thief (1955); Frank Sinatra in Kings Go Forth (1958); Peter Ustinov in Lola Montès (1955). oder David Niven, Jean Seberg und Deborah Kerr in Bonjour Tristesse (1958).
Das Filmfestival von Cannes bot die Möglichkeit, mit einer grossen Zahl von Stars aus der ganzen Welt zusammenzutreffen, doch es war für einen Reporter schwierig, eine Exklusivgeschichte oder eine Erstmeldung zu haben, wenn man neben einem Haufen kämpfender und schreiender Rivalen arbeitete: den Paparazzi. Während der fünfziger Jahre drängte dieser Mob von Fotografen, meistens Italiener, bei jedem Filmfestival nach Cannes hinein. Sie führten sich auf wie ein Stosstrupp, umringten die Schauspielerinnen und Starlets und bellten ihre Befehle heraus, so dass selbst die berühmtesten Top-Stars gehorsam Folge leisteten. Da sie sich zusammentaten, um andere Fotografen davon abzuhalten, ein Bild zu machen, war es noch schwieriger, mit ihnen zu konkurrieren. Während einer von ihnen einer Schauspielerin den Weg abschnitt, um sie zu fotografieren, verstellten die anderen den Zugang, als wollten sie alle anderen Fotografen von ihrer Beute abhalten. Zum Glück kannte ich ihre Strategien und schaffte es für gewöhnlich, sie auszutricksen. Indem ich mich meiner verschiedenen Quellen bediente – der Presseagenten, Empfangsdamen, Freunde –, musste ich vorauszuahnen versuchen, wohin die Stars gehen würden. Wenn ich eine Geschichte als erster bekam, waren auch die Paparazzi, mit denen ich eigentlich auf gutem Fuss stand, immer zu Anerkennung bereit.
Gegen Ende der Sechzigerjahre wandelte sich allmählich der Charakter des Festivals. Es wurde zu einer Verbindung von Filmvorführungen und einem Marktplatz für Verleiher. Die Zeiten, als Stars wirklich noch Stars waren, waren vorbei. Ein neues System entstand, in dem Presseagenten den Kontakt zwischen ihren Schützlingen und der Presse streng regelten. Es wurde nahezu unmöglich, als unabhängiger Journalist tätig zu sein.
Ein anderer Ort an der Küste, wo man zumindest einen der Stars finden konnte, war Saint Tropez. Der Weltruhm dieses Fischerortes im Süden der Côte d'Azur datiert aus den fünfziger Jahren und verdankt sich zu einem Teil dem neuen Vehikel der Freiheit, dem Auto. Natürlich spielte auch Brigitte Bardot eine Rolle dabei. Bis dahin hatten nur wenige Künstler und Adlige von dieser Ortschaft gehört, und sie wurde nur von einer kleinen Elite besucht. Damals war es sehr schwierig, dorthin zu gelangen – lange Zeit hatte es nur eine seltene Busverbindung gegeben, oder ein altes Schiff kam von St. Raphael herüber –, doch nachdem der Massentourismus Saint Tropez in den fünfziger Jahren erreicht hatte, wurde es von Menschen überschwemmt, besonders im Sommer, und verlor seinen einstigen Charme.
Ich schätzte es sehr, Berühmtheiten und Stars zu treffen, doch vor allem genoss ich die Gesellschaft der Künstler und hielt sie fotografisch fest – darunter Picasso, Max Ernst, Salvador Dalí oder Francis Bacon.
Es war eine aufregende, einzigartige Zeit an der Riviera in den von Fortschrittsoptimismus geprägten Fünfziger- und Sechzigerjahren. Wie Shakespeare schrieb: «All the world’s a stage and all the men and women merely players. They have their exits and their entrances.» (Die ganze Welt ist Bühne und alle Frauen und Männer blosse Spieler, sie treten auf und gehen wieder ab). Die Côte d'Azur war damals eine der grössten und schönsten Bühnen der Welt. Ihre Darsteller waren oft grossartig und glanzvoll. Auch wenn der Vorhang gefallen ist, so bleiben doch die Erinnerungen.